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Kartellrecht als Instrument zur Machtbegrenzung

von | 3.11.2023

Das Problem konzentrierter ökonomischer Macht und die Debatte darum ist nicht neu. Es gab verschiedene Wellen der Monopolisierung und starke Gegenbewegungen, um diese zu stoppen oder rückgängig zu machen. Als Ergebnis dieser wechselhaften Geschichte gibt es heute in westlichen Ländern Gesetze und Institutionen, die eine übermäßige Konzentration ökonomischer Macht und vor allem den Missbrauch dieser Macht verhindern sollen. Es gibt dafür unterschiedliche Begriffe: Antitrust (USA), Kartellrecht (D) oder Wettbewerbspolitik (EU/ D). Es lohnt sich, sich mit diesen Instrumenten neu vertraut zu machen.

In Europa gibt es zwei Ebenen: auf nationaler Ebene die Kartellbehörden der einzelnen Mitgliedsländer wie das Bundeskartellamt und auf europäischer Ebene die EU-Kommission. Ein Teil der EU-Kommission, die Generaldirektion Wettbewerb, hat die Rolle der europäischen Kartellbehörde übernommen.

Die Kartellbehörden haben folgende Handlungsmöglichkeiten:

  • Sie können Fusionen von Unternehmen verhindern: Fusionen ab einer gewissen Größe müssen angemeldet werden und werden von den Kartellbehörden geprüft. Sie können entscheiden, die Fusion zu genehmigen, Auflagen zu verhängen oder die Fusion ganz zu verbieten. Letzeres ist in den Jahrzehnten aber nur selten passiert. Viele problematische Fusionen wurden genehmigt, wie etwa die Übernahme von WhatsApp durch Facebook oder Bayer-Monsanto.
  • Sie können missbräuchliche Geschäftspraktiken stoppen: Die Kartellbehörden untersuchen, ob Unternehmen ihre Marktmacht missbrauchen. In diesem Fall können sie Strafen verhängen und den Unternehmen Vorgaben machen. So verbot das Bundeskartellamt etwa Amazon, die Verkäufer auf seiner Plattform zu zwingen, auf anderen Plattformen zum gleichen Preis zu verkaufen.
  • Sie können (teilweise) Unternehmen aufspalten: Wenn Unternehmen ihre Marktmacht missbrauchen, kann die EU-Kommission auch den Verkauf von Unternehmensteilen verlangen. In Großbritannien und neuerdings auch in Deutschland ist eine missbrauchsunabhängige Entflechtung möglich, also eine Aufspaltung in hochkonzentrierten, vermachteten Märkten ohne den Nachweis eines konkreten Missbrauchs.
  • Sie können verbotene, wettbewerbswidrige Absprachen (Kartelle) unterbinden: Das können z.B. Preisabsprachen zwischen Unternehmen sein. Die EU-Kommission wertete auch als Kartell, dass die deutschen Autohersteller sich absprachen, die Größe der Adblue-Tanks zur Abgasreinigung bei Diesel-PKWs zu begrenzen (ein wichtiger Aspekt des Diesel-Skandals).

Voraussetzung für die Nutzung der Instrumente sind im Regelfall kartellrechtliche Verfahren zu einzelnen Unternehmen oder einer Gruppe von Unternehmen. Eine wichtige Ergänzung erfährt das Kartellrecht durch sektorspezifische Regulierungen wie den Digital Markets Act. Dieser verbietet besonders mächtigen digitalen Plattformen von vornherein („ex ante“) bestimmte Geschäftspraktiken, die ihre Macht weiter stärken und Verbraucher*innen und andere Unternehmen schädigen.

Diese Instrumente stellen durchaus mächtige Hebel dar. Dabei gilt das sogenannte Auswirkungsprinzip: Kartellbehörden können auch Maßnahmen gegen Firmen ergreifen, die in anderen Ländern ansässig sind, wenn diese Auswirkungen auf den nationalen oder europäischen Markt haben. D.h. die europäische Kommission kann Verfahren gegen amerikanische Firmen führen oder die Fusion zweier ausländischer Firmen untersagen, wenn dies den europäischen Markt betrifft.

Zugleich hat der Werkzeugkasten einige Besonderheiten und Schwachpunkte:

  • Die Umsetzung des Kartellrechts beruht stark auf einzelnen Verfahren und auf der juristischen Auslegung der grundlegenden Gesetze. In vielen Fällen klagen die Unternehmen gegen die Entscheidungen der Kartellbehörden, sodass am Ende die Gerichte, insbesondere der Europäische Gerichtshof, entscheiden. Die Verfahren dauern dadurch sehr lange.
  • Die (juristischen) Hürden für den Nachweis von problematischer Marktmacht und deren Missbrauch sind hoch. Darüber hinaus ist die Analyse der Marktmacht in der Regel sehr eng gefasst.
  • Weitergehende strukturelle Maßnahmen wie die Aufspaltung von Unternehmen bzw. der Verkauf von Unternehmensteilen werden selten angeordnet. Die sogenannten verhaltensorientierten Maßnahmen haben Vorrang, also Auflagen für das Verhalten von Unternehmen. Allerdings sind diese oft schwer zu kontrollieren, gerade bei den Tech-Imperien mit ihren verflochtenen Geschäftsbereichen und undurchsichtigen Algorithmen. Hohe Strafen wie die 4 Milliarden Euro-Strafe für Google wegen Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung bei Android2erscheinen zwar spektakulär, sind aber nicht unbedingt wirksam. Monopolartige Machtpositionen werden so nicht aufgebrochen.

Es bleibt also ein gemischtes Bild: Das Kartellrecht soll eigentlich die Bildung von Kartellen verhindern, die Konzentration und Vermachtung von Märkten bremsen und den Missbrauch von Marktmacht eindämmen. Dafür bietet es durchaus weitreichende Instrumente – zumindest in der Theorie. In der Praxis aber gibt es Schwachstellen. Zu viele Fusionen wurden durchgewunken, der Kampf gegen Machtmissbrauch läuft schleppend und weitergehende scharfe Instrumente rosten vor sich hin, weil sie kaum eingesetzt werden. Tatsächlich sind diese Instrumente in den letzten 40 Jahren durch eine neoliberale und ökonomistische Wende geschwächt worden. Aber der Wind beginnt sich wieder zu drehen. In den letzten Jahren hat die Macht der großen Tech-Konzerne eine neue Debatte auch in Fachkreisen angestoßen.

Zugleich wächst eine gesellschaftliche Bewegung, die die kartellrechtlichen Instrumente wieder stärken will und ihr Potential neu nutzen möchte. Innerhalb weniger Jahre erreichte diese Bewegung einen bemerkenswerten Umschwung in den USA. Aktuell laufen in den USA mehrere Antitrust-Verfahren, die auf eine Aufspaltung unter anderem von Facebook und Google abzielen. Auch in Europa und Deutschland wächst die Debatte. Im Januar 2018 hat sich hier die Initiative „Konzernmacht beschränken“ gegründet. Anlass war die Bayer-Monsanto-Fusion. Zu den Unterstützer*innen gehören NGOs aus verschiedenen Bereichen wie Digitalcourage, Goliathwatch, das Forum Fairer Handel, das Forum Umwelt und Entwicklung, LobbyControl, Oxfam oder WEED. Auf europäischer Ebene gibt es seit 2022 ein Anti-Monopol-Netzwerk.

Wir befinden uns erneut in einem Übergang: von einer Tiefphase zu einer Belebung der Anti-Monopol-Ansätze und der Wiederentdeckung ihres Potentials. Rebalance Now will diese Bewegung stärken und erfolgreich machen.