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EU-Fusionskontrollleitlinien: Ein Schritt hin zu einer wirksameren Fusionskontrolle

von | 24.09.2025

Fusionen sind ein wesentliches Element von Strategien zur Stärkung von Marktmacht und/oder zu ihrer Ausweitung auf benachbarte Märkte. Die Europäische Kommission überarbeitet derzeit ihre Fusionskontrollleitlinien, die die Kommission bei der praktischen Bewertung von Fusionen im Rahmen der EU-Fusionskontrollverordnung leiten. Die Leitlinien enthalten grundlegende Überlegungen und ökonomische Konzepte, die die Kommission bei der Analyse von Fusionen heranzieht.

Im Laufe des Sommers bat die Kommission um Rückmeldung, um in den Leitlinien Marktentwicklungen und analytische Erkenntnisse seit ihrer ersten Veröffentlichung (2004/2008) aufzunehmen. Wir fassen die wichtigsten Punkte aus unseren Antworten auf den ausführlichen Fragebogen zusammen, der weiter unten verlinkt ist.

Unsere übergreifende Empfehlung

Insgesamt sollte die Möglichkeit, einen Zusammenschluss zu untersagen, als übliche, legitime Maßnahme angesehen werden und häufiger zum Einsatz kommen. Die europäische Fusionskontrolle leidet seit vielen Jahren unter einer unzureichenden Durchsetzung. Nur wenige Fusionen wurden eingehend untersucht, und nur sehr wenige Fusionen wurden blockiert. Dies hat zu einer zunehmenden wirtschaftlichen Konzentration, steigenden Preisaufschlägen und Gewinnen insbesondere bei den größten Unternehmen, einem steigenden Anteil der Unternehmensgewinne am BIP und einem Rückgang der Unternehmensdynamik beigetragen. Diese Entwicklungen schaden Unternehmen und Verbraucher*innen, tragen zu einer zunehmenden Ungleichheit bei und verringern Fairness und Innovation.

Die Leitlinien müssen daher einen besseren Rahmen für die Analyse von Fusionen und die Verhinderung schädlicher Konzentrationen setzen. Wir lehnen Argumente ab, wonach größere Unternehmen (Größenvorteile) die Wettbewerbsfähigkeit oder Innovation fördern und damit eine weitere Schwächung der Fusionskontrolle rechtfertigen.

Einige der nötigen Änderungen im Detail

Wir beschreiben Möglichkeiten, wie die Leitlinien eine wirksamere Wettbewerbsanalyse befördern können, um die Kommission zu befähigen, das Maß an mangelnder Durchsetzung zu verringern. Die folgenden Schritte wären produktive Schritte in diese Richtung.

Verringerung der Verwendung von “Industrial Organisation” (IO) zugunsten von Ansätzen, die besser geeignet sind, Wettbewerbsdynamiken zu erfassen: Die Leitlinien stützen sich stark auf den ökonomischen Ansatz der “Industrial Organisation” (IO). Die grundlegenden Annahmen der IO sind jedoch nicht geeignet, die Dynamik von Ökosystemen zu erfassen. Infolgedessen führte die Verwendung von IO zu falsch-negativen Ergebnissen/Fehlern vom Typ II, insbesondere bei Fusionen im Digitalbereich. Ein besseres Verständnis der Geschäftsmodelle in der digitalen Wirtschaft ist erforderlich, das auf Finanzanalysen und buchhalterischen Erkenntnissen aufbauen sollte (siehe z. B. Kotecha, Vivek, „From Industrial Organisation Economics to Financial Analysis: Accounting and Financial Analysis in Competition Policy“, Balanced Economy Project).

Berücksichtigung weiterer Faktoren bei der Analyse der Marktmacht: Erstens trägt der Zugang zu Daten durch Datenpartnerschaften zur Konsolidierung der Macht bei. Es ist nicht mehr zeitgemäß, das Netzwerk von Datenkooperationen nicht als einen Faktor zu berücksichtigen, der die Marktmacht erhöht (siehe Cecilia Rikap, Intellectual monopolies as a new pattern of innovation and technological regime, Industrial and Corporate Change). Zweitens wird der Zugang zu Kapital durch die Größe der Unternehmen beeinflusst. Große Unternehmen haben aufgrund impliziter staatlicher Garantien einen günstigen Zugang zu Kapital, wenn es sich um Unternehmen mit vielen Beschäftigten handelt, oder aufgrund ihrer Marktmacht im Falle großer digitaler Plattformen. Günstige Bonitätsbewertungen und niedrige Kapitalkosten sollten als Faktoren berücksichtigt werden, die zu Marktmacht beitragen.

Mehr Ökosystem-Schadenstheorien einbeziehen: Die aktuellen Leitlinien konzentrieren sich auf Kopplungs- und Bündelungspraktiken und reichen nicht aus, um andere Schadenstheorien im Zusammenhang mit dem Wettbewerb zwischen Ökosystemen zu erfassen, wie z. B. die Verschlechterung von Interoperabilität und die marktübergreifende Nutzung von Daten. Die EU-Gerichte haben Ökosysteme als Konzept anerkannt (siehe Google Android, Rechtssache T-604/18, Randnrn. 114-116). Die Leitlinien sollten darauf aufbauen. Es gibt verschiedene Vorschläge, wie diese Art der Analyse in konkreten Märkten umgesetzt werden kann, und es ist wichtig, in dieser Phase ein breites Spektrum an Instrumenten zur Analyse von Ökosystemen zu verwenden. Im Zusammenhang mit digitalen Märkten sind zwei relevante Analyseinstrumente einerseits die Panoptikum-Macht (siehe Ioannis Lianos, Bruno Carballa-Smichowski, 2022, A Coat of Many Colours—New Concepts and Metrics of Economic Power in Competition Law and Economics, Journal of Competition Law & Economics) und andererseits intellektuelle Monopole, deren Kontrolle über Eigentum hinausgeht (siehe Cecilia Rikap, 2024, Intellectual monopolies as a new pattern of innovation and technological regime, Industrial and Corporate Change). Das Konzept der Ökosysteme reicht auch über den Rahmen der Fusionskontrolle und der Leitlinien hinaus, doch Fusionen waren ein Schlüsselelement der Unternehmensstrategien zur Erweiterung ihrer Ökosysteme (neben noch jüngeren Strategien wie dem Aufbau von Partnerschaften zur Umgehung der Fusionskontrolle, die leider über den Rahmen dieser Konsultation hinausgehen).

Abkehr von der Vermutung, dass Fusionen mit geringfügigen Marktanteilssteigerungen keine Wettbewerbsbedenken aufwerfen: Bei mehreren digitalen Fusionen wurden Bedenken zurückgewiesen, weil die Steigerung durch die Fusion als weniger als [0-5] % angesehen wurde. Dies hat keine Grundlage in den Leitlinien und beruht nicht auf einer klaren Argumentation. Dies ist eine Einladung zu Killer-Übernahmen und führt zu einer unzureichenden Durchsetzung in allen Märkten, in denen große Akteure vorherrschen. Wir fordern die Kommission auf, solche falschen Arbeitsannahmen offiziell aufzugeben.

Abkehr von der Vermutung einer Beseitigung doppelter Marginalisierung (ein Konzept, wonach die Integration vertikaler Monopole zu besseren Marktergebnissen führt): Die Leitlinien für nicht-horizontale Zusammenschlüsse (NHMG) basieren auf einem eingeschränkten Verständnis von vertikaler Macht und vertikaler Integration. Sie enthalten unrealistische Annahmen über Effizienzgewinne, die geändert werden müssen. Punkt 55 der NHMG schafft eine Vermutung der Beseitigung der doppelten Marginalisierung, die in der empirischen Forschung nicht belegt werden konnte. Diese Bestimmung ist veraltet und muss gestrichen werden.

Bewertung der Effizienzsteigerungen anhand empirischer Daten: Eine ex-post-Bewertung von Fusionen legt nahe, dass größere Effizienzsteigerungen erforderlich wären, als plausiblerweise argumentiert werden kann (siehe Affeldt, Pauline, Tomaso Duso, Klaus Gugler und Joanna Piechucka, 2021, Assessing EU Merger Control through Compensating Efficiencies, CEPR Discussion Paper Nr. DP16705). In den Leitlinien sollte klargestellt werden, dass Effizienzgewinne, die die fusionierenden Parteien angeben, in empirischen Studien überprüft oder mit Verbraucher*innen “markt-getestet” werden sollten, wobei schutzbedürftige Verbraucher*innen und kleine Produzenten besonders zu berücksichtigen sind. In Bezug auf einen möglichen Ausgleich zwischen Effizienzgewinnen und Nachteilen schlagen wir einen sehr restriktiven Ansatz vor. In den Leitlinien sollte vorgeschrieben werden, dass überprüft wird, ob die Effizienzgewinne real, empirisch fundiert und fusionsspezifisch sind und nicht selbst zu Marktmacht beitragen.

Effizienzargumente bei digitalen Fusionen ausschließen: Bei digitalen Fusionen ist es noch unwahrscheinlicher, dass sie zu erheblichen Effizienzgewinnen führen. Es gibt eindeutige Belege dafür, dass Unternehmen bei digitalen Fusionen im Vergleich zu nicht-digitalen Fusionen seltener Synergien ankündigen und dass ihr Transaktionswert spekulativer ist, siehe „Elusive efficiencies in digital mergers”, Malikova et al. (erscheint in Kürze). Dies deutet darauf hin, dass andere, nicht mit Effizienzsteigerungen zusammenhängende Gründe die Spekulationen im Zusammenhang mit digitalen Fusionen befeuern, darunter möglicherweise der verstärkte Einsatz wettbewerbsschädlicher Strategien. Wie bei branchenübergreifenden Fusionen empfohlen, sollten die Leitlinien sehr sorgfältig klarstellen, dass die Vorteile eines fusionierten Unternehmens nicht als Effizienzgewinne gewertet werden, obwohl sie in Wirklichkeit zu Marktmacht beitragen. Daher schlagen wir vor, bei digitalen Fusionen keine Effizienzverteidigung zuzulassen.

Verbraucherschutzbelangen eine formelle Rolle im Verfahren einräumen: Verbrauchervertreter*innen aus den relevanten Sektoren sollte eine größere Rolle im Fusionskontrollverfahren eingeräumt werden. Wir schlagen vor, dass fusionierende Unternehmen verpflichtet werden sollten, Verbrauchervertreter*innen zu benennen, die mit ihren Geschäftsaktivitäten in Verbindung stehen, und dass die Kommission diese als relevante Parteien in ihre Fusionsbewertung und insbesondere in die Entwicklung von Fusionsabhilfemaßnahmen einbezieht.

Änderungen, die nicht vorgenommen werden sollten

Die Kommission scheint manche Änderungen in Erwägung zu ziehen, die vermutlich zu einer weiteren Schwächung der Fusionskontrolle führen würden, indem sie den Aufbau von mehr Marktmacht rechtfertigen, ohne dass dies auf klaren ökonomischen Beweisen beruht.

Wettbewerbsfähigkeit sollte auf fairem Wettbewerb und einer wirksamen Wettbewerbspolitik beruhen, die Marktmacht einschränkt: Wir lehnen die These ab, dass mehr Größe (d. h. mehr Konsolidierung) zu mehr Wettbewerbsfähigkeit führt, da sie im Widerspruch zu der Analyse steht, dass Fusionskontrollen eindeutig zu lasch gehandhabt werden. Andere politische Ziele (wie nationale Sicherheit) sollten klar als solche gekennzeichnet und gegebenenfalls ausdrücklich gegen das Ziel eines wirksamen Wettbewerbs abgewogen werden.

Innovationspfade werden durch Fusionen geprägt und oft eher eingeschränkt als erweitert: Selbst in dynamisch erscheinenden Märkten geben Fusionen marktbeherrschenden Unternehmen mehr Möglichkeiten, Innovationen strategisch auf Produkte zu beschränken, die ihr bestehendes Portfolio ergänzen. Daher ist bei der Bewertung der Innovationsversprechen, die marktbeherrschende Unternehmen im Zusammenhang mit Fusionen machen, eine vorsichtigere Herangehensweise geboten. Fusionen können Innovationen, die etablierte Geschäftsmodelle in Frage stellen würden, durch Innovationen ersetzen, die diese komplementieren. Daher sollten die Leitlinien mehr Gewicht auf den Verlust von Innovationen legen, wenn kleinere Unternehmen in die Ökosysteme größerer und potenziell marktbeherrschender Unternehmen aufgenommen werden. Wir lehnen jede Aufnahme einer „Innovationsverteidigung” für Fusionen in die Leitlinien ab.

Marktmacht durch Größe kommt dem Unternehmen zugute, das sie erlangt: Wir waren besonders überrascht, Fragen zu lesen wie: „Wie sollte die Kommission die Vorteile von Unternehmen bewerten, die durch Fusionen an Größe gewinnen, wenn sie dadurch Marktmacht oder eine marktbeherrschende Stellung erlangen?“ Die Darstellung von Marktmacht durch Größe als Vorteil und nicht als Nachteil ist irreführend und symptomatisch für die Tendenz zur unzureichenden Durchsetzung. Es besteht keine Notwendigkeit, über Effizienzgewinne hinaus zusätzliche Kategorien von Rechtfertigungen zu schaffen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Unternehmen Größenvorteile (und damit verbundene Marktmacht) nicht zu ihrem privaten Vorteil nutzen würden.

Unsere vollständige Antwort ist hier zu finden. Außerdem haben wir auf den Fragebogen G geantwortet, dort ging es u.a. um Nachfragemacht.