Vom 28. Februar bis 1. März fand in Berlin die Internationale Kartellkonferenz (IKK) statt. Die hochrangige Konferenz des Bundeskartellamts bündelt die aktuellen Debatten um Wettbewerbspolitik, Marktmacht großer Konzerne und Wirtschaftspolitik generell. Ein spannendes Zusammentreffen und eine Gelegenheit für eine aktuelle Bilanz: Die Wettbewerbspolitik hat sich in den zwei, drei Jahren deutlich verändert, es gibt einen Kurswechsel hin zu einem strikteren Vorgehen gegen Marktkonzentration und Monopolisierung. Zugleich zeigte die IKK, dass es Reformbedarf gibt – auch was die gesellschaftliche Beteiligung an der Kartellpolitik betrifft.
Alle zwei Jahre ruft das Bundeskartellamt, und die kartellrechtliche Fachszene strömt zur Internationalen Kartellkonferenz. Aus der Politik kamen die EU-Wettbewerbskommissarin Margarete Vestager, Justizminister Marco Buschmann, der für Kartellrecht zuständige Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Sven Giegold, und zahlreiche Vertreter/-innen von Kartellbehörden aus Europa und der ganzen Welt. Dazu Wissenschaftler/-innen, sehr viele Anwältinnen und Anwälte und Unternehmensvertreter/-innen. Dabei ist auffällig, dass vor allem große Unternehmen präsent sind: Amazon, Google, Microsoft, BASF, Siemens, Telekom, Post/ DHL usw. Wenn man bedenkt, dass viele aus Anwaltschaft und Beratungsfirmen auch eher für die Großen arbeiten, zeigt sich eine Unterrepräsentation von kleinen und mittleren Unternehmen. Die Zivilgesellschaft wurde von LobbyControl und Rebalance Now vertreten. Es fehlten Verbraucherschutz-Organisationen, Gewerkschaften und viele andere. Das IKK-Publikum spiegelt (noch) nicht die gesellschaftliche Bedeutung der Wettbewerbspolitik wider.
Das Programm der IKK war spannend. Die Debatten in allen Details wiedergeben zu wollen, würde diesen Text aber überfordern. Hier sollen nur ein paar Kern-Punkte heraus gefiltert werden:
1. International gibt es einen Kurswechsel hin zu einer schärferen Kartellpolitik. Staaatssekretär Giegold erinnerte in seiner Rede an seine Aussage bei der letzten IKK 2022, dass das Pendel in der Wettbewerbspolitik umgeschwungen sei, weg von der neoliberalen Chicago School. Diese Entwicklung sei weiter gegangen, und sie müsse weiter gehen. Der Wechsel zeigt sich deutlich in den USA: dort gehen die Behörden unter Biden viel schärfer gegen Machtkonzentration vor und gegen deren Auswirkungen in ihrer Breite, etwa auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Antitrust for the people lautet hier das Motto. Die EU hat die letzten Monate gezeigt, dass sie bei Firmen-Übernahmen genauer hinsieht und problematische Fusionen unterbindet (etwa die geplanten Übernahmen von iRobot durch Amazon oder von etraveli durch booking). Margarete Vestager ging in ihrer Rede ausführlich auf die konzeptionellen Weiterentwicklungen ein, mit denen die EU negative Auswirkungen von Fusionen analysiert (die sog. Theories of harm, Schadenstheorien).
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2. Wettbewerb und vielfältige Märkte stärken Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Diesen Punkt betonten viele, so EU-Wettbewerbskommissarin Margarete Vestager, Staatssekretär Giegold, Guersent, der Generaldirektor der EU-Kartellbehörde, oder die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Damit positionierten sie sich klar gegen eine Strömung in Europa, die auf europäische Champions setzen will, also auf eine weitere Machtkonzentration bei Großkonzernen, um international mitzuhalten. Diese Debatte dürfte die nächsten Monate weiter zunehmen. Es ist gut, dass es bei der IKK viele Stimmen gegen mehr Machtkonzentration gab.
3. Die Unternehmensseite warb auch auf der IKK für „Bürokratie-Abbau“ und den EU-Binnenmarkt. Hier zeigte sich ein anderes Narrativ: Wettbewerbsfähigkeit durch Entlastung der Unternehmen. Es war durchaus beeindruckend, wie Arndt Kirchhoff als Unternehmer und Vertreter des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) immer wieder das Wort Wettbewerb im Mund führte, ohne etwas zu Wettbewerbspolitik oder den Problemen von Marktkonzentration zu sagen. „Wettbewerb“ wurde zu einer Worthülse, die dann mit Unternehmensinteressen gefüllt wurde – was etwas anderes ist, als das Anliegen von vielfältigen Märkten und einer Begrenzung der Macht einzelner Unternehmen. An dieser Stelle der IKK wären mehr kritische Nachfragen oder eine explizite Gegenposition wünschenswert gewesen. Aspekte wie die Problematik konzentrierter Lieferketten oder Inflation tauchten zwar in der Ankündigung der ersten Podiumsdiskussion auf, gingen aber bei der Konferenz weitgehend unter. Das war bedauerlich.
4. Durch Künstliche Intelligenz droht eine weitere Machtkonzentration in der digitalen Wirtschaft. Das Problem ist erkannt, aber es fehlen (noch?) konkrete Maßnahmen der Wettbewerbsbehörden. Das Panel zu Künstlicher Intelligenz war sicher ein Highlight der Konferenz, insbesondere da hier einer Vertreterin von Microsoft zwei Vertreter von Wettbewerbern / kleineren Unternehmen gegenüber saßen (von Aleph Alpha und GetYourGuide). Konzentration bei KI besteht nicht allein auf der Ebene der KI-Modelle (etwa der Large Language Models wie ChatGPT), sondern auf der ganzen Kette nötiger Technologien und Inputs (dem KI „Tech Stack“). Johannes Reck von GetYourGuide wies auf die Gefahr hin, dass Big Tech auf verschiedenen Ebenen die Fähigkeit zur Monopolisierung habe, etwa bei Chips, Cloud Computing und Daten. Kleineren Wettbewerbern und Anwendern drohten nur die Brotkrumen übrig zu bleiben. Die dargestellten Szenarien schwankten zwischen einer dystopischen Kontrolle von KI durch wenige Konzerne und einem positiven Bild einer Vielzahl von Anbieter und Dienstleistungen. Das Agieren der Wettbewerbsbehörden wird hier eine relevante Rolle spielen, welches Zukunftszenario eintritt. So wurde u.a. gefordert, auf der Cloud-Ebene rasch zu intervenieren. Entweder durch klare Nicht-Diskrimierungsregeln, die eine Selbstbevorzugung durch Amazon, Microsoft und Google verhindern, oder durch eine Abtrennung des Cloud-Business von anderen Geschäftsbereichen.
5. Der europäische Digital Markets Act ist eine Chance, aber die Durchsetzung wird herausfordernd. Der DMA soll unsere Wahlfreiheit stärken und faire Wettbewerbsbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen schaffen. Aber es droht eine mangelhafte Einhaltung der Regeln durch die großen Tech-Konzerne (die „Gatekeeper“, Torwächter). Staatssekretär Giegold betonte, dass die Bundesregierung die die Durchsetzung des DMA genau im Auge behalten werde und entschlossen sei, bei fehlender Einhaltung schnell und hart zu reagieren. Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamts, verwies darauf, dass er vor Jahren gesagt habe, wenn die großen Tech-Konzerne sich nicht an die Wettbewerbsregeln halten würden, werde es Regulierung geben. Jetzt gebe es mit dem DMA die Regulierung. Die Konzerne sollten sie besser umsetzen, sonst bleibe das Instrument der Aufspaltung der Konzerne (You better comply or we will see divestment). Ein Problem sind die geringen Ressourcen der EU-Kommission für eine effektive Umsetzung. Ein Lösungsvorschlag sind Monitoring-Gebühren für die Techkonzerne, die unter dem DMA beaufsichtigt werden. Dies wird auch von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen gefordert.
6. Es gibt relevanten Reformbedarf in der Kartellpolitik. Deutlich wurde das u.a. in dem Panel zur sogenannten Missbrauchskontrolle, also den Verfahren der Wettbewerbsbehörden gegen den Machtmissbrauch einzelner Unternehmen. Es brauche Vorannahmen, die die Beweisführung erleichtern. Der sogenannte „more economic approach“ der letzten Jahrzehnte funktioniere nicht. Wolfgang Kirchhoff, Richter am Bundesgerichtshof, sagte, ihm müssten die Flügel ein bisschen gestutzt werden (clip the wings a little bit). Benoît Coeuré von der französischen Wettbewerbsbehörde zeigte zugleich Wege auf, wie sich auch im bestehenden Rahmen mehr erreichen lässt, etwa durch das Verhängen von sogenannten vorläufigen „interim measures“. Diese Möglichkeit sollte auch auf europäischer Ebene gestärkt werden.
Tomaso Duso vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und der Monopolkommission sprach in dem Podium zur Fusionskontrolle von einer mangelhaften Durchsetzung („underenforcement“) in der Vergangenheit. Das ändere sich gerade, aber es gebe weiterhin den Bedarf, dass die Wettbewerbsbehörden bei Fusionen mutiger sein müssten.
Staatssekretär Giegold forderte ein ambitioniertes Arbeitsprogramm für die nächste EU-Kommission. Die EU sollte eine Möglichkeit bekommen, nach der Untersuchung einzelner Sektoren Abhilfemaßnahmen bis zur Entflechtung zu verhängen – ein „New Competition Tool“ ähnlich den neuen Kompetenzen des Bundeskartellamts nach der jüngsten Kartellreform von 2023.
Fazit
Das Bundeskartellamt hat mit der IKK eine spannende Konferenz organisiert. Sie zeigte die Fortschritte in der Kartellpolitik und diskutierte aktuelle bestehende Probleme (AI, Missbrauchskontrolle). Kartellpolitik ist ein wichtiger Baustein der Wirtschaftspolitik, der von großer Bedeutung ist. Wir brauchen eine stärker ausgewogene Wirtschaft und eine Begrenzung der fortschreitenden Machtkonzentration.
Es ist deshalb wichtig, dass Zivilgesellschaft in der Kartellpolitik und bei Konferenzen wie der IKK präsent ist. Es ist erfreulich, dass das Bundeskartellamt LobbyControl und Rebalance Now eingeladen hat. Zugleich besteht wäre es wünschenswert, wenn das Publikum noch vielfältiger wäre, wenn mehr kleine und mittlere Unternehmen dabei sind, Gewerkschaften, Verbraucherschutz-Organisationen und weitere gesellschaftliche Akteure. In zwei Jahren wird sich bei der nächsten IKK zeigen, wie das Feld sich weiter entwickelt hat.
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