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„Man könnte mit dem Kartellrecht deutlich mehr machen“ – Digitalexpertin Aline Blankertz zum Kampf gegen digitale Monopole

von | 28.04.2025

Bonn, von Jana Ballweber (KNA)
Mit freundlicher Genehmigung des KNA-Mediendienstes

Als im vergangenen Herbst ein US-Richter entschieden hatte, Google offiziell den Status eines Monopols zu verpassen, ahnten viele, dass es den großen Digitalkonzernen kartellrechtlich an den Kragen gehen könnte. Auch in dieser Woche gingen die Gerichtsprozesse gegen Google und den Facebook-Mutterkonzern Meta weiter – und viele Beobachter bringen inzwischen die Möglichkeit einer Zerschlagung der Unternehmen ins Spiel.

Aline Blankertz beschäftigt sich bei der Organisation „Rebalance Now“ mit der Frage, wie die Monopolmacht großer Tech-Konzerne eingeschränkt werden kann. Im Interview mit dem KNA-Mediendienst schätzt sie die Erfolgsaussichten der US-Verfahren ein, spricht über die Regulierungsversuche der EU und darüber, wie eine bessere Digitalisierung für alle aussehen könnte.

KNA-Mediendienst: Frau Blankertz, worum geht es konkret bei den aktuellen Kartellrechtsverfahren gegen Google und Meta in den USA?
Aline Blankertz: Da geht es um viele verschiedene Dinge. Bei Google gibt es Verfahren zu AdTech, also zum Werbemarkt, zum Browser Chrome und zur Suchmaschine. Bei allen steht im Raum, dass eine Entflechtung oder Zerschlagung eine Möglichkeit sein könnte, die Bedenken zu adressieren.

MD: Welche Bedenken?
Blankertz: Dass Google in der Lage ist, Bedingungen durchzusetzen, die nicht mit Wettbewerb vereinbar sind. Dass das Ökosystem, das Google geschaffen hat, den Wettbewerb schädigt und Innovation beeinträchtigt. Bei Meta ist das ganz ähnlich gelagert. Da geht es ja vor allem um den Bereich der sozialen Netzwerke und die Frage, ob Meta mit dem Kauf von WhatsApp und Instagram den Wettbewerb beeinträchtigt hat.

MD: Instagram wurde 2012 von Facebook übernommen, WhatsApp 2014. Warum wird das Verfahren erst jetzt geführt? Hätte man nicht vorher prüfen können, ob das mit dem Wettbewerb vereinbar ist?
Blankertz: Es gab da Fusionskontrolle. Die hat aber offenbar zu optimistisch geurteilt.

MD: Ist es denn wirklich ein realistisches Szenario, dass es zu einer Aufspaltung kommt? Und wie könnte die aussehen, so eng verknüpft, wie die unterschiedlichen Unternehmensteile zum Beispiel im Bereich Daten oder Technologie sind?

Blankertz: So eine Entflechtung muss ja nicht perfekt sein, um zu funktionieren. Natürlich gab es Austausch von Wissen, von technischer Expertise, da lässt sich die Uhr nicht zurückdrehen. Trotzdem kann ein Verkauf von Teilen dazu führen, dass es andere Wettbewerber geben kann.

MD: Welche Folgen hätte denn eine Aufspaltung für die Nutzerinnen und Nutzer?

Blankertz: Für die muss sich gar nicht unbedingt viel ändern. Eigentlich ist Facebook ja ohnehin dazu gezwungen, die Nutzerdaten von Facebook, Instagram und WhatsApp zu trennen. Das sind verschiedene Apps, verschiedene Plattformen. Die Frage ist aber: An wen würden die Unternehmensteile dann verkauft werden? Und wie würde der Wettbewerb aussehen? Man würde nichts gewinnen, wenn WhatsApp von Google übernommen werden würde. Es ist kein Selbstläufer, dass ein zukünftiger Inhaber einer dieser Plattformen ein besseres Angebot schafft. Das erfordert dann eine weitergehende Aufsicht.

MD: Könnten die Richter also anordnen, dass beispielsweise Instagram eigenständig weitergeführt wird?

Blankertz: Sie können auf jeden Fall einschränken, welche Bietenden es geben darf und welche nicht – selbst wenn das dazu führen würde, dass das zu erwartende Gebot dadurch nicht maximal hoch wäre.

MD: Viele sind überrascht, dass Donald Trump die Verfahren gegen Google und Meta überhaupt weiter durchzieht, nachdem er bei der amerikanischen Wettbewerbsbehörde FTC die Personen ausgetauscht hatte, die diese Verfahren maßgeblich vorangetrieben hatten. Was steckt politisch dahinter?

Blankertz: Das Facebook-Verfahren war ja unter der ersten Trump-Regierung schon begonnen worden. In Trumps Umfeld gibt es große Skepsis gegenüber der enormen Macht der Tech-Konzerne. Welche politische Strategie dahinter steckt, ist schwer zu beurteilen, weil bei Trump viel Erratisches passiert. Die Verfahren laufen zu lassen, ist eine Riesendrohung an die Unternehmen. Ob sie dann auch zu Ende geführt werden, steht auf einem anderen Blatt.

MD: Das heißt, er will etwas gegen die Konzerne in der Hand haben. Gibt es denn aber auch eine politische Linie der Trump-Regierung in Sachen Kartellrecht?

Blankertz: Keine konsistente.

MD: Wie sieht es mit der Beurteilung der europäischen Gesetzgebung aus? Beim Digital Services Act zur Plattformregulierung hat Trump ja sehr deutlich gemacht, dass er nichts von europäischer Regulierung hält. Gibt es ähnliche Einflussnahmen beim Digital Markets Act (DMA)?
Blankertz: Auf jeden Fall. Vizepräsident Vance hat sehr deutlich gemacht, dass große Strafen gegen US-Unternehmen als Affront gegen die USA verstanden werden würden. Nur weil die US-Regierung jetzt gegen die Unternehmen vorgeht, heißt das nicht, dass man Interventionen von Seiten der EU begrüßen würde. Wir sehen ja auch schon, dass die DMA-Entscheidungen zu Apple und Meta verzögert und jetzt erst in dieser Woche verkündet wurden. An dieser Stelle ist der Druck vermutlich schon effektiv.

MD: Hat der Digital Markets Act sich bislang als wirksames Mittel gegen Monopole in der Digitalwirtschaft erwiesen?

Blankertz: Naja, da ist die Frage, welche Wirkung man sich erhofft hatte. Der DMA hatte nie zum Ziel, die Macht der großen Unternehmen wirklich zu brechen. Es ging eher darum, die Ergebnisse der Verfahren, die man seit den 2000er Jahren geführt hatte, in Regeln zu überführen, damit man sie leichter durchsetzen kann. In dieser Hinsicht kann man sagen, dass der DMA kleine Effekte zu verzeichnen hat. Es gibt ein bisschen mehr Interoperabilität, gewisse Rechte, die andere Unternehmen haben, die die Plattformen nutzen. Aber im Großen und Ganzen können die Tech-Konzerne die Regeln leicht umgehen.

MD: Das heißt, es gibt gar kein Instrument, um von Europa aus an den Marktbedingungen etwas Grundlegendes zu verändern?

Blankertz: Das ist eine Frage des politischen Willens. Man könnte mit dem Kartellrecht deutlich mehr machen, wenn man sich traut, diese Verfahren zu führen. Die technokratische Blase, in der das Kartellrecht behandelt wird, ist aber in den letzten zwanzig, dreißig Jahren, sehr weich geklopft worden. Wir sehen eine Durchdringung von Big Tech, die viel Geld in die Wissenschaft und in Thinktanks gegeben haben, so dass es aktuell sehr schwer  vorstellbar ist, dass das Kartellrecht so entschieden eingesetzt wird. Deswegen wäre ich da ein bisschen vorsichtig mit der Aussage, dass es kein Instrument gibt. Wir können Kartellrecht stärker durchsetzen und wir können auch stärker regulieren. Wir müssen es halt machen.

MD: Wenn wir mal einen Schritt zurücktreten: Warum sind die Monopole im Digitalbereich überhaupt so ein großes Problem? Welche negativen Auswirkungen haben sie?

Blankertz: Ganz allgemein ist es kritisch, wenn Unternehmen keiner Marktdisziplin mehr ausgesetzt sind. Damit haben sie unglaublich viel Verhandlungsmacht und können die gegenüber anderen Unternehmen einsetzen – und auch gegenüber der Politik, die sie eigentlich regulieren sollte. Wir sehen dann, dass diese mächtigen Unternehmen einen Großteil der unerwünschten Auswirkungen verursachen. Das ist mindestens eine Korrelation.

MD: Und Wettbewerb ist da die Lösung?

Blankertz: Nicht unbedingt. An vielen Stellen brauchen wir Regulierung dazu, weil wir zum Beispiel wissen, dass Unternehmen, die im Wettbewerb stehen, nicht unbedingt energieeffizienter werden. Aber Regulierung kann man effektiver durchsetzen, wenn die Unternehmen keine Monopole sind.

MD: Welche Regulierungsmaßnahmen könnte man sich den begleitend zu einer strengeren Durchsetzung des Kartellrechts vorstellen?
Blankertz: Das beträfe viele Bereiche: Umweltauswirkungen, Arbeitsbedingungen, Auswirkungen auf psychische Gesundheit, die Verschiebung des demokratischen Kurses nach rechts, und so weiter. Für alle diese Bereiche braucht man im Grunde eine effektive Regulierung. Dazu gehört dann auch, manche Plattformen und Funktionalitäten einzuschränken. Wenn wir Unternehmen vorschreiben, weniger Daten zu sammeln und zu verwenden, muss die Personalisierung zurückgehen. Man muss sich trauen, zu sagen: Regulierung heißt nicht Business as usual, sondern hat einen Einfluss darauf, wie Produkte gestaltet sind.

MD: Wie sind denn die EU und Deutschland bei diesem Thema aufgestellt? Tiktok wurden in Europa ja bestimmte Anwendungen verboten, die suchtfördernd gewesen wären.

Blankertz: Im Moment beobachten wir eine starke politische Entwicklung gegen Regulierung, hin zu mehr sogenannter Wettbewerbsfähigkeit und einer kleineren Rolle des Staates. Ich habe da wenig Hoffnung, dass man wirklich gewillt ist, stärker einzugreifen, über punktuelle Aktivitäten wie bei Tiktok hinweg. Auch im Koalitionsvertrag steht vor allem viel über Wettbewerbsfähigkeit. Wir sehen, dass auch das Bundeskartellamt deutlich zurückhaltender geworden ist und den Fokus auf Innovation und Wachstum setzt.

MD: Ist das eine Entwicklung, die im Zusammenhang mit der Debatte um digitale Souveränität von den USA steht? Wir wollen europäische Unternehmen stärken und ihnen deswegen die Regulierung vom Hals halten?

Blankertz: Ja, das spielt eine Rolle. In der Debatte gibt es ja auch Aspekte, die aus meiner Sicht zu begrüßen sind, zum Beispiel ein strategischerer Einsatz von staatlicher Beschaffung. Gleichzeitig kann das aber auch bedeuten, dass man mehr bei europäischen Champions landet, die auch nicht gerade wettbewerbsfördernd sind, sondern die innereuropäischen Abhängigkeiten verstärken.

MD: Was bedeutet strategischer Einsatz staatlicher Beschaffung?

Blankertz: Diesen Punkt würde ich neben einer konsequenteren Durchsetzung des Kartellrechts und einer Regulierung als dritten großen Faktor hin zu einer besseren Digitalisierung sehen. Es klingt vielleicht erstmal sehr trocken und unambitioniert, aber jedes Jahr fließen Hunderte von Milliarden* von Euro vom deutschen Staat zu den großen Tech-Unternehmen. Die stehen dann nicht zur Verfügung, um andere, bessere Dienste zu entwickeln.

MD: Das heißt, das Geld sollte auch nicht als Faustpfand gegenüber Microsoft gesehen werden, damit die ihre Dienste verbessern und fairer machen, sondern tatsächlich die Konkurrenz und damit den Wettbewerb stärken?

Blankertz: Genau, und diese Konkurrenten würden dann idealerweise einer stärkeren demokratischen Kontrolle unterliegen. Das ist mit Sicherheit ein steiniger Weg, aber wir müssen irgendwann anfangen, ihn zu gehen.

MD: Kann es denn eine bessere und fairere Digitalisierung geben, die gewinnorientiert ist? Oder ist die Debatte Teil einer viel größeren Diskussion über das kapitalistische Wirtschaftssystem?

Blankertz: Wir haben ja auch in unserem Wirtschaftssystem Bereiche, die nicht primär auf Gewinn aus sind, zum Beispiel Bildung, Gesundheit, Straßen. Es könnte auch im Bereich der digitalen Daseinsvorsorge eine größere Rolle des Staates geben. Ich glaube nicht, dass man das Wirtschaftssystem ändern muss, um die digitalen Technologien, die wir haben, substanziell zu verbessern.

*Korrektur: Es sind vermutlich mehrere Milliarden, mindestens hunderte Millionen.

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