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Wahlprogramme im Check

von | 12.02.2025

Haben die Wahlprogramme der größeren Parteien die Macht der großen Unternehmen im Blick? Was sagen sie zur Monopolmacht der großen Tech-Konzerne und ihrer Dominanz bei KI? Wie schauen sie auf Markmacht im Lebensmittelsektor, auf unfaire Handelspraktiken und Inflation? Wie möchten Sie das Wettbewerbsrecht weiter entwickeln?

Diese Fragen spielen im Wahlkampf aktuell kaum eine Rolle. Dabei sind sie von großer Bedeutung, wie die Entwicklungen in den USA zeigen. Werfen wir also einen Blick in die Wahlprogramme, wie die deutschen Parteien mit den Themen umgehen. Dabei zeigen sich deutliche politische Unterschiede: die Union will das Wettbewerbsrecht abschwächen. Aussagen zur Beschränkung von Konzernmacht und Marktmacht finden sich dagegen bei Grünen, Linken, BSW und teilweise der SPD. Überschneidungen gibt es bei der Marktmacht im Lebensmittel-Sektor und dem Schutz von Landwirtinnen und Landwirten vor unfairen Handelspraktiken. Das fordert auch die Union. Im Tech-Sektor bleibt das Macht-Problem unterbeleuchtet. Tech-Macht und die Abhängigkeiten von Big Tech blitzen zwar hier und da auf, aber konkrete Handlungsansätze über die Durchsetzung der bestehenden Regeln hinaus gibt es nur vereinzelt.

Kartellrecht: die Union will mehr Marktkonzentration ermöglichen

Die Union will mehr Firmenübernahmen in Europa ermöglichen und damit noch mehr Marktkonzentration zulassen. Das verklausuliert sie in ihrem Wahlprogramm allerdings. Darin heißt es: die Union setzt sich für ein „modernes Kartell- und Wettbewerbsrecht ein, das den globalen Markt als Maßstab zugrunde legt.“ Bei der Kontrolle und Genehmigungen von Fusionen wird zuerst abgeklärt, wie die betroffenen Märkte abgegrenzt sind. Wenn ein Markt regional ist oder national, werden problematisch hohe Marktanteile schneller erreicht als bei europäischen oder globalen Märkten. Der globale Markt als Maßstab im CDU-Wahlprogramm heißt also, dass mehr Fusionen in Europa möglich sein sollen. Das hat CDU-Parteichef Merz auch beim Weltwirtschaftsforum in Davos explizit gefordert.

Der Vorschlag, den globalen Markt als Maßstab zu machen, ist problematisch: Die Marktbestimmung in der Fusionskontrolle untersucht die realen ökonomischen Gegebenheiten, eine Vorab-Festlegung ist nicht sinnvoll. Zudem zeigen Beispiele wie Volkswagen oder Boeing, dass Größe keineswegs ein Garant für Innovation und attraktive Produkte ist. Mehr Fusionen heißt zudem mehr Marktmacht und das wiederum mehr politischen Einfluss, mehr Preissetzungsmacht und weniger Wahlmöglichkeiten für Verbraucherinnen und Verbraucher und für Zulieferer.

Die Union möchte die Stärkung des Kartellrechts unter der Ampel-Regierung zurücknehmen. Die Ampel hatte dem Bundeskartellamt bei sogenannten Sektor-Untersuchungen die Möglichkeit gegeben, Maßnahmen bis hin zum Verkauf von Unternehmensteilen anordnen. Eine solche Entflechtung kann missbrauchsunabhängig sein: das Kartellamt muss dabei keinen Missbrauch der einzelnen Unternehmen nachweisen, sondern „nur“ das Vorliegen struktureller Probleme, die sich nicht durch schwächere Eingriffe lösen lassen. Die Union möchte, dass das Bundeskartellamt nur bei Rechtsverstößen eingreifen darf. Das erschwert die Arbeit des Bundeskartellamts: denn die Hürden für den Nachweis von Marktmacht-Missbrauch sind hoch, die Verfahren dauern lange und strukturelle Probleme von vermachteten Märkten bleiben außen vor. Deshalb war die Kartellrechtsreform der Ampel ein richtiger Schritt, um bei der seit Jahren steigenden Marktkonzentration in Deutschland und Europa die kartellrechtlichen Instrumente zu erweitern.

Die Grünen möchten auf europäischer Ebene eine ähnliche Verschärfung wie in Deutschland anstoßen. Sie gehen damit in die entgegengesetzte Richtung zur Union. Das grün geführte Wirtschaftsministerium hatte die deutsche Kartellrechtsreform auch maßgeblich vorangetrieben. Zugleich sollen kleinere Fusionen von bürokratischen Verfahren entlastet werden.

Bei SPD und Linken finden sich keine allgemeinen Aussagen zum Wettbewerbsrecht, nur zu einzelnen Sektoren wie Lebensmitteln und Tech (siehe unten). Das BSW schreibt, dass sie Marktmacht begrenzen und marktbeherrschende Konzerne entflechten wollen. Die FDP hat nur zwei Aussagen zu mehr Wettbewerb auf der Schiene und zwischen Telekommunikationsunternehmen im Programm. Marktmacht scheint ansonsten für die FDP kein Thema zu sein.

Die meisten Parteien wollen Marktmacht im Lebensmittel-Sektor kontrollieren

Der Lebensmittel-Sektor und die Nachfragemacht des Handels tauchen in den meisten Parteiprogrammen auf. Die Marktkonzentration bei Supermärkten und Discountern hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Die Inflation und die Bauernproteste haben die Debatte über die Verteilung von Gewinnen im Lebensmittelsektor verstärkt. Erste Analysen der Monopolkommission zeigen Anzeichen von Wettbewerbsproblemen und Marktmacht in dem Sektor.

Hier will auch die Union die Missbrauchskontrolle starker Abnehmer verbessern und Erzeuger und Lieferanten vor unlauteren Handelspraktiken stärken. Damit sind unfaire Vertragsklauseln und Verhaltensweisen gemeint, die große Käufer wie Supermärkte mit ihrer größeren Verhandlungsmacht kleineren Lieferanten aufzwingen, wie etwa verspätete Zahlungen, rückwirkende Vertragsänderungen oder Listungsgebühren für die Aufnahme von Produkten ins Sortiment.

Die SPD will wegen gestiegener Lebensmittelpreise die Marktmacht der wenigen großen Supermärkte scharf beobachten. Sie will die wettbewerbsrechtliche Kontrolle und die Preisbeobachtung ausgewählter Lebensmittel stärken.

Auch die Grünen wollen eine eine kartellrechtliche Prüfung des Lebensmittelhandels, um faire Erzeugerpreise und Wettbewerb zu sichern. Die Stellung der Landwirt*innen in der Lieferkette soll gestärkt werden. Es soll ein Gebot des Kaufs zu kostendeckenden Preisen geben und die Pflicht zu verbindlichen schriftlichen Verträgen.

Die Linke fordert mit Blick auf die Marktmacht von Schlachthof-, Molkerei- und Handelskonzernen ein starkes Kartellrecht und ein entschlossenes Durchgreifen der Bundeskartellamts gegen große Supermarktketten. Es soll eine neue Preisaufsicht geben und wo nötig, Mindesterzeugerpreise für Landwirt*innen. Monopole sollen entflochten werden.

BSW will eine Begrenzung der Marktmacht von Konzernen in der Verarbeitung und im Handel. Gesetzlich geregelte Mindesterzeugerpreise sieht es als mögliches Instrument für auskömmliche Preise für Landwirte sein. Die FDP sieht bei Marktmacht im Lebensmittel-Sektor keinen Handlungsbedarf. Sie will „die Agrarpolitik stärker am unternehmerischen Handeln der Landwirte“ ausrichten und Landwirte unabhängig von staatlichen Zuwendungen machen.

Digitalisierung und KI sind große Themen, Tech-Macht nicht

Digitalisierung und Künstliche Intelligenz spielen eine große Rolle in den Wahlprogrammen. Digitalisierung ist ein Querschnittsthema, das sich durch viele Politikfelder zieht. Dabei gehen die meisten Parteien kaum auf die Macht der großen Tech-Konzerne ein. Nur wenige Parteien sehen Handlungsbedarf über die Umsetzung bestehender Gesetze hinaus.

Die Linke setzt sich am ehesten für eine Verschärfung ein: Sie will die Spielräume zur Zerschlagung der Monopole ausschöpfen, das Kartellrecht stärken und personalisierte Onlinewerbung verbieten. SPD und Grüne treten dafür ein, dass die europäischen Regeln für Plattformen wie der Digital Services Act und der Digital Markets Act konsequent umgesetzt werden.

Die Union will die digitale Souveränität Europas stärken. Dazu brauche es einheitliche Regeln, ein „modernes Wettbewerbsrecht“ (siehe zu dieser Formulierung oben) und digitale Infrastruktur wie eine europäische Cloud.

Investitionen in Rechenzentren und digitale Infrastruktur wollen alle Parteien. Bei Grünen, Linke und BSW ist das gepaart mit der Förderung von Open-Source-Anwendungen und gemeinwohlorientierten Plattformen.

Überall klingt der Wunsch durch, Deutschland und Europa als KI-Standort zu stärken. Wofür KI eingesetzt werden soll und welche Auswirkungen sie hat, wird kaum vertieft. Die SPD möche soziale Innovationen und gemeinwohlorientierte Projekte und Strukturen in der KI-Förderung besonders berücksichtigen, die Grünen wollen KI im Rahmen „unserer gemeinsamen Werte einsetzen“, die Union nur die „Risiken von KI“ beherrschen, aber auf keinen Fall Chancen durch „Überregulierung“ verpassen. Bei der FDP scheint es, dass sie möglichst viel „KI-gestützt“ machen will: von KI-gestützten Bürgerassistenten bis zu KI-gesteuerten Systemen zur Erkennung von Tierwohl. Das bleibt schlagwortartig. Die Linke will eine gerechte Verteilung der Gewinne aus Automatisierung, KI und Robotik sicherstellen.

Fazit: ein umstrittenes und unterbelichtetes Feld

Wenn man davon ausgeht, dass nach der Bundestagswahl eine unionsgeführte Regierung mit Beteiligung von SPD oder Grünen kommt, dürfte das Thema Wettbewerbsrecht umstritten sein. Die Beschränkung von Konzernmacht und Marktmacht sehen eher SPD, Grüne, Linke und BSW als sinnvolles Ziel an. Die Union will dagegen das Wettbewerbsrecht abschwächen. Überschneidungen gibt es bei der Marktmacht im Lebensmittel-Sektor und dem Schutz von Landwirtinnen und Landwirten vor unfairen Handelspraktiken. In der Umsetzung dürften auch dort Details umstritten sein.

Im Tech-Sektor bleibt das Macht-Problem unterbelichtet. Tech-Macht und die Abhängigkeiten von Big Tech blitzen zwar hier und da auf, doch umfassende Antworten gibt es kaum. Digitale Souveränität ist gewünscht, aber der Fokus liegt eher auf industriepolitischen Investitionen und teilweise der Umsetzung der bestehenden Digitalregeln. Das ist nicht verkehrt, aber es muss ergänzt werden durch weitergehende Ansätze gegen die bestehende Konzentration bei Chips, den großen Cloud-Anbietern (Microsoft, Amazon, Google), KI-Modellen, Daten und Distributionskanälen. Wenn die Marktstrukturen im Tech-Sektor und die Dominanz der großen Tech-Konzerne in der KI-Entwicklung nicht stärker angegangen werden, bleiben die Vorstellungen der Parteien illusionär.

Bei den sich abzeichnenden Koalitionen wird es auf jeden Fall wichtig sein, politische Lösungen für die weiter steigende Marktkonzentration und geballte Tech-Macht einzufordern. Hier sind wir als Zivilgesellschaft gefragt.

 

Weitere Informationen

  • Oxfam Deutschland hat in seinen Wahlcheck eine Frage zu Marktmacht an die Parteien gestellt. Die Ergebnisse sind ähnlich und sind hier nachzulesen.
  • Ergänzend zu den Wahlprogrammen ein Hinweis auf die Empfehlungen der Monopolkommission an die nächste Bundesregierung. Sie sind sehr viel detaillierter und schlagen u.a. Verbesserungen bei der Fusionskontrolle vor und eine bessere Erfassung wettbewerblich bedenklicher Entwicklungen bei Clouds und KI vor.


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Foto des Reichstags von Nasir Khan Saikat (Wikimedia Commons), Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported