Die neoliberale Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik hat es Unternehmen seit den 1980ern leicht gemacht, ihre Marktmacht auszubauen. Dass Monopolisierung negative Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft hat, zeigte sich jedoch bereits Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals kam es zur Aufspaltung großer Unternehmen wie John D. Rockefeller’s Standard Oil. Ein neues Papier des Balanced Economy Projects plädiert dafür, das Instrument der Entflechtung wieder stärker zu nutzen. Es zeigt anhand historischer Beispiele, wie Unternehmen entflochten werden können, welche Ziele dabei verfolgt und welche Prinzipien eingehalten werden sollten.
Unternehmen mit monopol-ähnlicher Stellung gefährden unsere Demokratie, verschärfen Ungleichheit, treiben die Klimakrise voran und entziehen sich zunehmend der staatlichen Kontrolle.
Mit Blick auf Google, Amazon und Co., die sich stetig vergrößern und neue Geschäftsfelder erschließen, ist eine Entflechtung dieser Unternehmen folgerichtig und notwendig. Tatsächlich gibt es inzwischen mehrere Verfahren von Wettbewerbsbehörden, die zur Abspaltung von Unternehmensteilen etwa von Google führen könnten. Denn die bisherigen Versuche, die Marktmacht von Big Tech über Strafen oder Verhaltensauflagen zu begrenzen, erweisen sich zunehmend als unzureichend.
Warum Entflechtungen heute sinnvoll sind
Das Balanced Economy Project liefert mit ihrer neuen Studie „Breaking the Giants of Harm“ eine umfassende Einführung in das Instrument der Entflechtung. Angesichts der starken Konzentration in den letzten Jahrzehnten sei es nötig, Firmen-Aufspaltungen wieder stärker ins Bewusstsein zu rufen und anzuwenden.
Dazu stellt das Papier kurz bisherige Aufspaltungen von Firmen vor, etwa John D. Rockefeller’s Standard Oil (1911), der IG Farben nach der Nazi-Herrschaft (1945) oder AT&T (1982). Der Hauptteil dreht sich aber um die Frage, zu welchen Zwecken und wie Entflechtungen heute angewandt werden können.
Als mögliche Ziel nennt das Balanced Economy Project:
- Interessenkonflikte vermeiden,
- wirtschaftliche (und geopolitische) Nadelöhre beseitigen,
- mediale Vielfalt und Demokratie schützen,
- persönliche Freiheiten und Redefreiheit wiederherstellen,
- fairen Wettbewerb fördern,
- globale Systeme stärker unter lokale Kontrolle bringen,
- das Problem des „too big to fail“ angehen,
- Schutz und Förderung von Kleinunternehmen, breitem Wohlstand und einer ausgewogenen, diversifizierten Wirtschaft,
- Förderung der wirtschaftlichen Resilienz und
- das sich beschleunigende „Schwungrad“ der Monopolisierung stoppen.
In der Summe geht es also um die Förderung einer vielfältigen und demokratischen Wirtschaft und Politik sowie den Schutz von Fairness, Sicherheit und Menschenrechten, die durch zunehmende Monopolisierung unter Druck geraten.
Bruchlinien zur Entflechtung
Die Einführung beschreibt verschiedene Fragen, die vor einer Entflechtung zu klären sind. So brauche es klare Ziele und ein Verständnis, wie das Unternehmen gewachsen sei und wie die Marktmacht zu problematischen Verhalten beitrage. Außerdem gebe es Fälle, in denen eine Entflechtung nicht sinnvoll sei, etwa bei natürlichen Monopolen. Es brauche zudem einen klaren Rahmen für die Firmenteile nach einer Entflechtung.
Zur praktischen Umsetzung hat das Balanced Economy Project verschiedene Bruchlinien identifiziert, entlang derer Unternehmen aufgespalten werden können. Darunter gehören u.a.:
- Fusionen rückgängig machen: Bereits genehmigte Firmen-Übernahmen können nach erneuter und erweiterter Prüfung rückgängig gemacht werden.
- Interessenkonflikten entgegenwirken: Geschäftsbereiche, zwischen denen es zu Interessenskonflikten kommt, können getrennt werden. Etwa klassisches Bankengeschäft und Investment-Banking oder Amazons Marktplatz von Amazons Retail-Arm, der selbst Produkte auf dem Marktplatz anbietet.
- Trennung von Ebenen: Vor allem Big Tech nutzt mehrere Ebenen, um einen Dienst zur Verfügung zu stellen. So gibt es bspw. die Speicherung der Daten, die Analyse der Daten und die Anwendungssoftware des Dienstes. Unternehmen können zwischen diesen Ebenen entflochten werden.
- Abspaltung der „defekten“ Teile: Oftmals entstehen besondere Schäden durch einzelne Geschäftsbereiche, wie Google AdTech. Dieser Geschäftsbereich kann herausgetrennt, um Machtmissbrauch zu beenden.
Für solche Entflechtungen gibt es durchaus Rechtsgrundlagen, etwa in der EU nach Verfahren wegen des Missbrauchs von Marktmacht („abuse of dominance“) oder mehrfachen Verstößen gegen den Digital Markets Act. In Deutschland gibt es seit der Reform des Kartellrechts im letzten Jahr auch die Option, marktbeherrschende Unternehmen bei dauerhaften Wettbewerbsproblemen ohne den Nachweis eines Missbrauchs zu entflechten.
Die Studie stellt diese rechtlichen Möglichkeiten kurz vor und geht in einem FAQ auf mögliche Kritikpunkte an Entflechtungen ein. Insgesamt zeigt sie deutlich auf, wieso und wie Entflechtungen durchgeführt werden können. Sie reiht sich damit gut in die derzeitigen Debatten um die Entflechtung mächtiger Unternehmen ein.
Balanced Economy Project: „Breaking up the giants of harm. To protect democracy and have a resilient economy, we must tackle corporate power. Again.“ (pdf)
Weitere Hinweise:
- Maarten Pieter Schinkel und Ruben van Oosten von der Universität Amsterdam haben jüngst Vorschläge vorgelegt, wie Amazon, Google und Apple aufgespalten werden könnten: Breaking Up Big Tech: Scissor Line Suggestions For Smart Cuts
- Rechtsgutachten für eine Zerschlagung von Amazon, LobbyControl 2023